In einem Wettkampf des Kyokushin Karate müssen die Kämpfer 3 x 3 Minuten gegeneinander kämpfen (je nach Festlegung der Regeln). Vorausgesetzt keiner der beiden geht frühzeitig auf die Matte. Insgesamt also schlappe 9 Minuten. Gürtelprüfungen, wie die für den Gelbgurt bedeuten: 10 x 1 Minute kämpfen und stehen!
Einem Gegner in Wettkampfform gegenüber zu stehen, ist komplett anders als an einer Gurtprüfung teilzunehmen. Der Gegner im Wettkampf ist auf genau diesen Moment hoch trainiert, in einer Gurtprüfung ist man das, so gesehen zwar auch, nur der Anspruch ist in einer Gurtprüfung nicht der, gegen seinen Angreifer zu gewinnen, sondern der, in jedem Falle stehen zu bleiben und durchzuhalten!
Das kann man alles trainieren. Die Aufgabe ist so simpel, wie effektiv: Eine Partnerübung mit Oberkörperschutz. Drei Minuten Volldampf mit Bewegung. Mit Bewegung bedeutet, das man sich im Kreis bewegt, wie in einem Kampf. So wird man gezwungen den Gegner auch mal stoppen zu müssen, da man ihn sonst nicht angreifen kann. Das zu üben ist die Aufgabe. Stehe ich aufrecht zum Gegner bekomme ich besser Luft!! Insgesamt bekommen die Techniken deutlich mehr Drall, mache ich es so. Blöde ist nur das ich, bis auf Wenige, jeden im Dojo überrage. Das ist wiederrum ein Nachteil. Kleinere Traningspartner zwingen mich schnell in eine gebeugte Haltung und das schnürt mir die Luft ab. Die die meine Höhe haben sind bereits so genannte Schwergewichtler.
Weltmeister und Anfänger stehen gemeinsam auf der Matte und feuern sich gegenseitig zu Höchstleistungen an – das muss man erlebt haben.
Nach den ersten Wochen meines Trainings beginnt sich nun mein „mindset“ zu verändern. Durch das was ich lerne, gewinne ich Vertrauen in mich selbst. Festzustellen das ich nicht bloß lernwillig, sondern auch noch lernfähig bin, ist für mich eine große Bestätigung. Das mein Körper diese Strapazen mitmacht, aushält und sich anpasst grenzt an ein Wunder. Ich beginne langsam aber stetig, immer mehr aktiv am Training teilzunehmen, als immer nur durchgeschliffen zu werden! Ein Wunder der Natur.
10 x 1 Minute für die Gurtprüfung – 3 x 3 Minuten für einen Wettkampf!
Ich bin ein Meisterschüler der Sportschule Chikara Berlin e.V., hier trainiere ich unter echten Weltmeistern und beschreibe Euch meinen Weg in das Kumite des Kyokushin Vollkontaktkarate in nahezu jeder Einzelheit. Wie Ihr sehen könnt, habe ich inzwischen das Recht den „Gi“ zu tragen! Wer etwas länger mitliest, der ahnt was mir das bedeutet und welchen Weg ich dafür gehe.
Warum ich den „Gi“ erst jetzt trage, während es in jeder anderen Sportschule oder Verein vielleicht sofort der Fall ist? Meine Anwesenheit in dieser Kampfsportschule ist ein Geschenk. Aber das hatten wir ja schon. Was macht man mit Geschenken? Richtig! Man wertschätzt sie, indem man sich bedankt. „Danke“ sagen ist immer ein guter Anfang. Das mache ich nach jedem Training und mittlerweile stört sich auch niemand mehr daran.
Wie gehe ich mit Kritikern um? Hierzu mal ein Beispiel. Ich traf auf einen Menschen der ebenfalls vorgab Kampfsport zu betreiben. Das anfänglich freundliche Gespräch, nahm dann eine seltsame Wendung, als ich gefragt wurde welchen Gurt ich denn führe? Da hole ich voller Stolz den Gürtel mit dem goldenen Drachensymbol hervor und zeigte ihn dem Frager:
„Meiner!“
„LOL! Das ist ja bloß ein Weißgurt!“
„Ja. Richtig. Ein Weißgurt. 60 Tage habe ich gebraucht, um ihn tragen zu dürfen.“
„Einen Weißgurt bekomme ich bei uns im Verein sofort und darf auch schon, von Anfang an, den Anzug tragen. Wo liegt der Unterschied zwischen mir und Dir?“
„Du hast also noch überhaupt nichts gemacht, nichts geleistet und Du hast bereits dieselben Rechte, wie alle anderen?“
„Ja klar! Ich bezahle ja auch richtig viel Geld dafür, dann kann ich das ja wohl auch erwarten, oder was! Was bezahlst Du denn in deiner Schule?“
„Nun, das Training ist bei uns wirklich sehr teuer, denn weißt du: Ein wahrer Schüler des Kyokushin Karate, bezahlt mit seinem Schweiß, seinem Blut und seinen Tränen. DAS ist dann wohl auch der Unterschied zwischen Dir und mir.“
Wie war das noch gleich?
An meiner Haustür habe ich gestanden mit gepackter Tasche und konnte einfach nicht hinausgehen. Bei dem Gedanken wieder verprügelt zu werden, schnürte sich mir der Hals zu und mir wurde äusserst unbehaglich zumute. Die Schmerzen waren einfach nicht von dieser Welt und wer es ganz genau wissen will: Da kullerte, im Geheimen, auch die eine oder andere Träne. Warum? Wenn man diesen Gedanken dann in seiner Angst weiterspinnt sieht man sich im Krankenhaus – Kyokushin Karate ist die härteste Form des Karate, die ein Mensch trainieren kann. Ein guter Zeitpunkt die Perspektive zu wechseln oder für immer dabei zu bleiben. Tja, Freunde. SO war das. Ein echter Scheidepunkt. Seither bin ich zwar immer noch der Sven, aber eben nicht mehr derselbe Mensch der ich zuvor einmal war.
Leider war ich zudem auch noch auf dem Weg ein wenig abzuheben. Wer steht denn nicht gerne mal im Mittelpunkt? Das stand ich – ohne Zweifel – mit Weltmeistern trainieren! Es geht sehr schnell, da fühlt man sich beinahe selber wie einer und vergisst schlimmstenfalls, wo der eigentliche Platz in der Rangfolge ist. Das hat zu meinem großen Glück aber jemand rechtzeitig erkannt und hat mich sofort zur Seite genommen. Der zweifache Weltmeister Bülent Karaman. Bülent hat meinen Kopf wieder aus den Wolken geholt. Er sagte:“Freude ist eine Kraft, mit derselben Qualität, wie zB: Wut. Kraft ist aber nichts ohne Kontrolle, Sven.“
So war das.
Mittlerweile haben sich Grenzen verschoben für mich. Angst vor Schlägen oder Niederschlägen? Habe ich nicht mehr. Angst vor großen Gegnern? Zeige ich nicht mehr. Schmerzen? Solange ich noch aufstehen kann, ist der Kampf nicht vorbei. Alles Weitere kommt mit der Zeit, so hoffe ich.
„Beobachte die Schüler in der Schule und die Art, wie sie miteinander und den Lehrern umgehen. Sind sie freundlich und aufmerksam? Sind sie respektvoll? Würdest du sie als Freunde haben wollen? Du wirst viel Zeit mit ihnen verbringen, also ist es wichtig, auch ihre Persönlichkeiten zu verstehen. Du wirst deine Sicherheit in ihre Hände legen, und wenn dir das unbehaglich erscheint, dann musst Du woanders hingehen.“ (Großmeister Tasev an meinem allerersten Tag)
Das habe ich so gedeutet für mich, das ich die Gruppe kennenlernen sollte zum Einen und zum Anderen „einen Trainingspartner“ innerhalb dieser Gruppe finden soll. Also das Gegenstück zu mir. Den Partner der mich lehrt, wie ich in den Dialog treten kann wenn ich mit einem Partner auf der Matte trainiere. Wie Ihr wisst habe ich jetzt bereits mit fast allen Schülern von Großmeister Tasev trainiert und lerne von jedem von ihnen. Ich schätze und respektiere jeden/jede von ihnen. Als ich in meinem „Gi“ aus der Umkleide komme, steht der Weltmeister Hüseyin Usta am Tresen. Er sieht mich an, lächelt und sagt: „Die Mumie“ – Mit Weißgurt siehst Du aus wie ein 2 Meter Wattestäbchen, isso!“ – da musste ich laut loslachen.
Meister Lucas und Weltmeister, Mustafa Nas, übernahmen heute das Aufwärmen der Gruppe.
Danach Sparring!
Wie gewohnt üben wir abwechselnd – jeder mit jedem. Wie gewohnt geh ich immer wieder down, stehe auf und mache weiter. Als ich nicht mehr kann – arbeite ich, wie gewohnt, am Sandsack weiter. Mir ist mal wieder so schlecht, das ich bereits würgen muss – aber ich bleibe dran!
Das geht solange, bis ich darum bitten muss auf Klo gehen zu dürfen, weil ich sonst auf die Matte kotze – ich habe es allerdings bis zum Klo geschafft.
Als ich nach ein paar Einheiten wiedereinmal pausieren muss, sagt Großmeister Tasev an mich:“Sven, Du trainierst mit dem der gleich durch die Tür kommt, ok?“ „Ouus! Meister.“ Rufe ich, drehe mich zur Tür und da steht Meister Bobo Lutete!
Großmeister Tasev macht Meister Bobo wirklich zu meinem Trainingspartner!
„Das hat mir ja gerade noch gefehlt!“ denke ich. Ich schüttle Arme und Beine aus, weil ich schon wieder leichte Panikschübe bekomme. Adrenalin macht sich in mir breit. Meister Bobo stellt seine Tasche ab schüttelt kurz die Beine aus, lächelt mich an – shakehands – und los geht es?
„Er macht sich nicht einmal warm…verdammt! Auf seinem Teller bin ich nicht mal der Wurm im Salat.“
Ehrlich gesagt bin ich Meister Bobo immer schön aus dem Weg gegangen – hab mal aus der Ferne kurz mal „Hallo“ gesagt. Ich weiß das er ein guter Trainer ist. Eisenhart und er war irgendwie immer zur Stelle kurz bevor ich ausgegangen bin. Ich habe miterlebt, wie er sich, (gähnend!!) gegen mehrere Angreifer zur Wehr gesetzt hat, die ihn mit aller Härte angegriffen haben.
Nun stehe ich diesem Mann gegenüber und mir geht die Düse.
Meister Bobo hält sich zurück, als wir beginnen – ich schlage ihn deutlich härter, als er mich. Mit derselben Kraft mit der ich angreife, antwortet Meister Bobo mir. AUTSCH! So fühlt sich das für ihn also an? Aha! „Ob Ihr richtig steht, seht Ihr wenn das Licht angeht.“ Zum ersten Mal werde ich nicht sofort dominiert oder abgehärtet. Kämpfer müssen starke Persönlichkeiten sein. Wer von Anfang an das Ruder übernimmt – seinen Gegner bis zum Ende dominiert, wird den Kampf gewinnen. Wer sich nicht wehrt fällt um. Das ist ein Fakt!
Ich spreche da aus Erfahrung.
An dieser Stelle befinde ich mich noch nicht – aber ich muss langsam mal herausfinden, ob ich auch einen Krieger in mir besitze und wenn ja: Was für einen? Finde ich ihn nicht, hätte mein Training auch als Meisterschüler und bei aller Intensität, keinen erkennbaren Sinn mehr und ich würde zwar als Freund bleiben, doch als Schüler gehen. Die Basistechniken kenne ich bereits, konnte sie aber noch nicht so recht abrufen.Ich schlage oder trete bislang noch nicht hart genug, um mir im Kampf wenigstens ein kleines bisschen Raum zu verschaffen.
In den Einheiten mit Meister Bobo, gelingt mir dieser Dialog in der Bewegung. Seine Körpersprache „zieht“ mich in die richtige Richtung. Diagonale Kombos, so wie es mir Meister Cezmi gezeigt hat. Immer wieder Basistechniken: Ein, zwei, drei – Low-Kick -Ein, zwei, drei – Low-Kick – Ein, zwei, drei – Low-Kick. Gemeinsam, im Takt, mit derselben Energie – das ist ein Trainingserlebnis! Das ich bereits etwas gelernt habe, war mir gar nicht klar.
Für eine kurze Zeit kann mich auf diesem Level halten – dann macht meine Kondition zu, weil ich denke – genau das ist der Fehler. Zum Glück rede ich heute mal nicht ständig.
Meister Bobo befiehlt mich hoch auf die Beine und in die nächste Sekunde, in noch eine und noch eine.
„Ich habe Kondition! Ich halte durch! So geht das! Alles verändert sich so! Nimm den Kopf hoch, schlagen treten, schlagen, treten, niemals aufhören, sieh die Lücke, schlag dort hinein, immer: Schlagen, treten! Sieh deinen Meister an wenn er mit dir spricht, verflixxt nochmal!“
„Ouss!“ schreie ich ihm in sein Gesicht. Kampfstellung!
Nach 60 Tagen meines Trainings des Kyokushin Karate, einer der härtesten Formen des Vollkontakt Karate, bereits den „Gi“ zu tragen, ist meine erste Auszeichnung unter den Meisterschülern von Großmeister Tasev in der Sportschule Chikara Berlin!
Das Recht ihn zu tragen habe ich mir nicht einfach „erworben“– Ich habe es mir verdient!
Keep calm and practice Kyokushin.
Euer Uchi-Deshi
Wie es weitergeht erfahrt Ihr hier. Wo? Nur auf German Fightnews