Früherer Boxweltmeister Cagri Ermis: Vom Ring in den Käfig

Früherer Boxwelt- und Europameister Cagri Ermis startet MMA-Abenteuer

Ex-Boxweltmeister Cagri Ermis bei einer Verschnaufpause im Gym von Oliver Winter

Zuletzt war es still geworden um den früheren Boxwelt- und Europameister Cagri Ermis. Seit der Wuppertaler seine Boxhandschuhe an den Nagel gehangen hatte, fiel er nur noch einmal als Headcoach von Nick Hein in der UFC auf. Viele wähnten den zweifachen Familienvater im wohlverdienten „Ruhestand“. Doch wie wir kürzlich erfahren haben, wagt der mittlerweile 37-jährige erfolgreiche Unternehmer einen Ausflug ins MMA-Lager. Ein großer deutscher Promoter scheint auch schon für das kommende Jahr mit dem einstigen Box-Champ zu planen. Das war für uns ein Grund, Cagri Ermis persönlich zu kontaktieren.

Boxen ist nicht mehr das, was es einmal war.

Als Cagri Ermis vor wenigen Tagen den Hörer abnahm, wirkte er so entspannt wie nie zuvor. Sein Leben nach der Boxkarriere scheint dem sympathischen Deutsch-Türken aus Wuppertal offensichtlich zu gefallen. Auf die Frage, ob er sich noch einmal eine Rückkehr in den Ring vorstellen könne, wird seine Stimme für einen kurzen Augenblick ernst und bestimmt:

Mit dem Boxen bin ich fertig. Der Weg zurück zu einem Titelkampf ist mir zu mühselig. Ich müsste erst einmal zwei Aufbaukämpfe machen und mich dann umsehen, was aktuell möglich ist. Um ehrlich zu sein, habe ich auch keine Lust mehr, in diesem Zirkus mitzumischen. Boxen ist nicht mehr das, was es einmal war.“

Ehrliche Worte von dem Mann, der 2015 den hoch eingeschätzten Jürgen Doberstein einstimmig nach Punkten bezwingen konnte und kurze Zeit später, mit einer mehr als umstrittenen Niederlage gegen Robin Krasniqi, einer großen Chance beraubt wurde, einen wichtigen Titelkampf zu ergattern. Aber auch so verzichtete Ermis in seiner bewegten Karriere immer wieder auf die ganz großen Momente in seinem Sportlerleben, da ihm seine Familie stets wichtiger war als die Karriere. Als junger Profiboxer wurde sogar der mittlerweile verstorbene Kulttrainer Emanuel Steward auf Ermis aufmerksam und lud ihn nach New Jersey in sein Gym ein. Aufgefallen war ihm der damals 25-jährige Wuppertaler in einem Trainingscamp in Österreich, in dem Ermis als Sparringspartner für einen Weltmeister im Mittelgewicht eingeplant war. Er machte seine Sache so gut, dass der Star-Coach, der Schwergewichtsweltmeister wie Lennox Lewis oder Wladimir Klitschko an die Spitze führte, sein Potenzial erkannte und ihn in die Staaten einlud.

Familie wichtiger als die Karriere

Sie bezahlten mir das Ticket und ich flog in die USA. Ich war damals noch ziemlich grün hinter den Ohren und fühlte mich einsam so weit weg von meiner Familie. Ich bin ein Muttersöhnchen (lacht laut) also habe ich mich bei Steward für die großartige Chance bedankt und bin wieder nach Deutschland zurückgeflogen. Ich weiß, dass es eine riesige Chance war, die nicht viele bekommen haben und ich weiß auch, dass Emanuel Steward mich auf ein ganz anderes Level gebracht hätte. Aber ich war und bin ein Mann der Prinzipien und brauche meine Familie und meine vertrauten Menschen in meiner Nähe, um funktionieren zu können.“

Dass das nicht nur leere Worthülsen sind, bewies Ermis im Jahr 2015 erneut. Ein weiteres Mal tat sich für ihn eine große Chance auf um einen Weltmeistertitel zu kämpfen diesmal gegen den Titelinhaber Zac Dunn in Australien. Wir waren als Medienteam eingeplant und sollten mit ins Land der Kängurus fliegen. Alles war angerichtet, die Vorbereitung auf den Weltmeisterschaftskampf lief optimal. Im Gym wurden in Dauerschleife Kämpfe von Dunn an die Wand projiziert. Immer wieder schaute Ermis in seinen Verschnaufpausen auf die Bewegtbilder und trainierte im Anschluss noch härter. Doch eines Tages knapp einen Monat bis zum großen Kampf klingelte unser Telefon, am anderen Ende war Ermis.

Cagri Ermis 2015 vor seinem vermeintlichem WM-Kampf. Während einer kurzen Pause ist sein Blick auf ein Video mit Szenen von Zac Dunn gerichtet.

Jungs, es tut mir sehr leid, aber ich kann und werde nicht nach Australien fliegen können. Meine Frau wird in der Zeit unser erstes Kind bekommen. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich nicht da wäre. Mein Körper wäre zwar in Australien, aber mein Kopf in Wuppertal bei meiner Frau und unserem Kind.“

Ermis wirkte bei dieser Nachricht nicht enttäuscht, sondern eher glücklich, diese Entscheidung getroffen zu haben, die natürlich richtig war. Immerhin ist Zac Dunn ein gefährlicher Puncher, der bis heute erst einen Kampf verloren und 24 von 29 Siegen vorzeitig beenden konnte.

Ich hätte bei diesem Kampf bei einhundert Prozent sein müssen.“

Einen Monat später erfreuten sich der ehemalige Champion und seine Ehefrau über die Geburt ihres Sohnes, der heute, fünf Jahre nach den Ereignissen, seinen Vater während unseres Telefonats mächtig auf Trab hält.

A-Klasse Kickboxer in Holland

Cagri Ermis 2010 in den Niederlanden bei einem K-1 Kampf

Was viele nicht wissen: Ermis hat nicht nur eine erfolgreiche Vergangenheit als Boxer. Zwischen 2003 und 2010 war er der einzige deutsche Kickboxer, der in Holland in der A-Klasse kämpfte und sich den größten Namen stellte. Darunter war auch der weltbekannte Superstar Nieky Holzken, gegen den Ermis in den Niederlanden seinerzeit umstritten verlor. Und Holzken war es auch, gegen den Ermis 2017 seinen letzten Boxkampf bestritt. Der Holländer hatte es Ermis gleichgetan und war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls ins Boxlager gewechselt. So kam es zwischen den einstigen Rivalen zur Revanche, allerdings unter für Ermis untypischen Vorzeichen. Nicht richtig fit und mittendrin in der Planung für sein neues Leben als Unternehmer, nahm er den Kampf in Holland an und verlor nach einem Leberhaken vorzeitig: Aus und vorbei! Er wusste, dass er den Kampf nie hätte machen dürfen, zumindest nicht ohne richtige Vorbereitung.

Nun gut, ich kann es nicht mehr ändern. Ich hätte mich gerne für die Niederlage zuvor im Kickboxen revanchiert. Ich weiß, dass ich im ersten Kampf gewonnen hatte. Aber in Holland gegen einen einheimischen Star zu gewinnen, ist nahezu unmöglich, wenn du nicht durch Knockout gewinnst.

Im Kickboxen war Ermis ebenfalls erfolgreich und wie auch später als Boxer, jeweils Welt- und Europameister wobei er diesen Titeln keine so große Bedeutung beimisst. Die Kämpfe, die er in der niederländischen A-Klasse machen durfte, wertet er höher.

Ich war damals bei Ali Gunyar, den ihr vom World Combat Cup auch bestens kennt. Ich habe unter ihm jeden Kampf angenommen. Es war eine gute Zeit für mich in Holland.“

Gewohnt, Umwege gehen zu müssen

Ermis 2015 beim Gewinn des IBF Titels. Mit ihm freut sich Deutschlands bester Boxtrainer: Sükrü Aksu

Als Boxer stand Ermis später auch beim international erfolgreichen Promoter Erol Ceylan unter Vertrag. Er trainierte zu diesem Zeitpunkt in Hamburg und gewann den schon erwähnten Weltmeistertitel. Doch eine schwerwiegende Handverletzung warf den Wuppertaler zurück, sodass er von vorne beginnen musste. Als Stehaufmännchen ist er allerdings sein ganzes Leben lang gewohnt, Umwege gehen zu müssen. Manchmal stand ihm auch sein türkischer Name im Weg.

Zu gerne hätte er gegen Leute wie Felix Sturm oder Arthur Abraham geboxt und wahrscheinlich hätte er die Chance auch bekommen, wenn er sich einen deutschen Namen zugelegt hätte wie Sturm oder Abraham. Aber den Gedanken verwarf er schnell. So wurde er in Deutschland von großen Medien nicht beachtet, während türkische Sender an ihm interessiert waren und verschiedene Kämpfe live in die Heimat übertrugen. Das gehört heute alles der Vergangenheit an. Daher waren wir umso überraschter, als Ermis uns die Neuigkeit verkündete, eine neue Herausforderung als Kämpfer angenommen zu haben. Eine Begebenheit mit uns aus dem Jahr 2014 war mit die „Ursache“ für die Nachricht.

Ihr habt mir damals nahegelegt, zum MMA zu wechseln. Damals aber konnte ich mit dem Sport nichts anfangen. Anfang der 2000er hatte ich schon einmal Free Fight gesehen, so wie Mixed Martial Arts damals in Deutschland genannt wurde. Mir gefiel das zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Das Niveau war noch nicht besonders hoch und meine Karriere als Kickboxer und später klassischer Boxer hatte für mich oberste Priorität. Doch jetzt sieht die Sache anders, komplett anders aus.“

Durch Hein und Karaoglu Blut geleckt

Tatsächlich saßen wir damals in einem Hotel in Köln Marienburg und philosophierten darüber, wie lange Ermis im MMA brauchen würde, um in Deutschland oben zu landen und wie viel Zeit er für das Bodentraining aufwenden müsste, um Fuß fassen zu können.

Ich fand eure Idee damals interessant. Nach dem Karriereende bekam ich bekanntlich die Chance, Headcoach in der UFC zu werden. Mit Nick Hein trainierte ich einen ausgesprochenen Bodenkämpfer, der früher ein Judo-Ass war. Mit KSW-Legende Aziz Karaoglu, mit dem ich sehr gut befreundet bin, hatte ich noch einen weiteren Zugang zu MMA. Aziz ist ja wie ich ein Striker, der im hohen Alter viel auf die Beine gestellt bekommen hat. Mit den ersten Trainingseinheiten und dem Zusammentreffen mit Hein, leckte ich Blut. Nun trainiere ich selbst seit einiger Zeit MMA und vor allem feile ich an meinen Bodentechniken. Ich hätte 2014 nicht gedacht, dass es mir so viel Spaß machen würde. Ich bereue heute sogar, nicht auf euch gehört zu haben, denn damals war ich noch jung genug, um eine echte Karriere zu starten.“

Wer weiß, immerhin scheint sich Ermis, der in Wuppertal mit Oliver Winter in dessen Gym trainiert, aber auch die Trainingseinheiten mit dem beinharten Aziz Karaoglu oder auch mit dem ausgewiesenen Ringer Petros Petropoulos genießt, wohl gut zu machen. Es verwundert aber nicht wirklich, dass Ermis heute mit 37 Jahren sogar plant, zumindest einen Kampf zu absolvieren. Ein bekannter deutscher Promoter ist schon in die Pläne von Ermis involviert.

Cagri Ermis zu Besuch bei Ringer und MMA-Kämpfer Petros Petropoulos

Ich werde wahrscheinlich im Frühjahr 2021 meinen ersten Kampf machen und bis dahin fleißig trainieren. Ich muss natürlich noch einiges im Stand ändern. Wie beim Boxen oder K1 kann ich nicht im Käfig stehen. Da kassiere ich schneller einen Takedown, als mir lieb ist.“

Typischer Striker

Warum er ausgerechnet jetzt plant in den Käfig zu steigen, überrascht uns ebenfalls nicht, sondern passt zur Lebensphilosophie des ehrgeizigen Sportlers.

drei Ex-Champs unter sich. Ermis mit Kickbox-Legende Gökhan Saki und Aziz Karaoglu

Einige Menschen, die es gut mit mir meinen, haben mir davon abgeraten, auch weil ich nicht mehr der Jüngste bin und keinerlei Erfahrung im Bodenkampf habe. Aber ich war immer schon jemand, den solche Herausforderungen eher anspornen und siehe da, ich mache gute Fortschritte im Grappling. Natürlich darf man von mir nicht erwarten, dass ich am Boden ein Ass werde und meinen ersten Kampf durch Submission gewinne. Ich werde ein typischer Striker sein, aber auch meine Hausaufgaben am Boden machen, um zumindest dort meine Defense auf ein gutes Niveau zu bringen.

Im Frühjahr 2021 soll es soweit sein. Wir werden Cagri Ermis‘ Weg in den Käfig verfolgen und Euch zeitnah darüber informieren, bei welcher Organisation er sein Debüt geben wird.

Text: Attila

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